Freie Sachsen: Schuld am AfD-Misserfolg oder nur Sündenbock? Das sagen Experten

Trotz eines Umfragehochs im Frühjahr erreicht die AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen nur den zweiten Platz hinter der CDU. Welche Faktoren haben zu diesem Ergebnis geführt? FREILICH gibt Antworten.

Analyse von
4.9.2024
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5 Minuten Lesezeit
Freie Sachsen: Schuld am AfD-Misserfolg oder nur Sündenbock? Das sagen Experten

Wahlplakate der AfD und Freien Sachsen.

© IMAGO / Jan Huebner

Dresden. – Nach den Landtagswahlen in Sachsen herrscht Unzufriedenheit bei der AfD. Die Partei blieb mit 30,6 Prozent der Stimmen knapp hinter der CDU, die 31,9 Prozent erreichte. Angesichts der Umfragen im Frühjahr, die der AfD einen Vorsprung vor der CDU vorhersagten, ist das Ergebnis eine Enttäuschung. Die Partei hatte sich zum Ziel gesetzt, die 40-Prozent-Marke zu erreichen.

Intern wie extern wird nun nach Ursachen gesucht. Ein möglicher Grund, der in der Partei diskutiert wird, ist das Abschneiden der Kleinpartei Freie Sachsen (FS). Diese erhielt 2,2 Prozent der Stimmen – ein Anteil, der nach Ansicht einiger AfD-Vertreter wie Pressesprecher Andreas Harlaß den Ausschlag hätte geben können. Harlaß sieht in den Freien Sachsen einen entscheidenden Faktor für den verpassten Wahlerfolg und kritisiert die Partei in einer Stellungnahme scharf: „Tausende Stimmen durch Fake-Kampagne der sogenannten Freien Sachsen in der Tonne. Sie hatten nie eine Chance ins Parlament zu kommen. Wahlhelfer der CDU!“

Seit langem Streit zwischen beiden Seiten

Die Spannungen zwischen den beiden Parteien hatten sich bereits im Vorfeld der Wahl verschärft. Es gab gegenseitige Vorwürfe und aggressive Kampagnen. Während einige AfD-Mitglieder die Zweitstimmenkampagne der FS als unehrlich bezeichneten, warfen FS-Anhänger der AfD vor, kurz vor der Wahl gegen ihre Partei mobilisiert zu haben. Freundschaftliche Beziehungen zwischen den beiden Parteien sind also nicht zu erwarten.

Vorläufiges amtliches Endergebnis der Landtagswahl Sachsen 2024

in Prozent

Dennoch stellt sich die Frage, ob die Freien Sachsen tatsächlich den Wahlerfolg der AfD verhindert haben. Der Politikanalyst und FREILICH-Autor Daniel Fiß äußerte sich dazu vorsichtig: „Kleinparteien gibt es in allen politischen Spektren, und normalerweise bleibt ihr Einfluss auf die großen Akteure überschaubar.“ Im speziellen Fall Sachsens könnten die 2,2 Prozent der Freien Sachsen aber entscheidend gewesen sein, um die AfD als stärkste Kraft zu verhindern. Fiß betont jedoch, dass nicht zwangsläufig alle Stimmen der FS an die AfD gegangen wären, wenn die Partei nicht angetreten wäre. Die größere Herausforderung für die AfD sei die Mobilisierungskraft der CDU gewesen, die in Sachsen traditionell stark verankert sei.

„Die zentrale Herausforderung für die AfD-Sachsen waren jedoch nicht die Freien Sachsen, sondern die Mobilisierungskraft einer Union, die in Sachsen für ihren starken Wahlkampf bekannt ist. Die CDU gewann 79.000 Nichtwähler hinzu, die AfD-Sachsen 89.000“, führt Fiß aus. „Dies ist ein Mobilisierungswettlauf, dessen finaler Ausschlag um die letzten drei bis vier Prozentpunkte von der Wahlkampfperformance abhängig ist.“

Experte: Fokussierung auf FS kontraproduktiv

Dieser Argumentation will sich der Chemnitzer Politikwissenschaftler und Buchautor Benedikt Kaiser nicht anschließen. Zu den Gründen für das Abschneiden der AfD äußert sich Kaiser auf Anfrage von FREILICH eher skeptisch. Das Argument, die Stimmen der Freien Sachsen hätten der AfD gefehlt, hält Kaiser für nicht stichhaltig. Das Wählerpotenzial der Freien Sachsen bestehe aus einem „eigenständigen, dynamischen Milieu“, das sich in den letzten Jahren verfestigt habe und keineswegs automatisch der AfD zugänglich sei. Vielmehr wären viele FS-Wähler wohl eher zu den Nichtwählern als zur AfD abgewandert.

Die Ursachen für das Verfehlen des Wahlziels der AfD sieht Kaiser in einer Kombination mehrerer Faktoren: der geschickten Selbstinszenierung von Ministerpräsident Kretschmer, einer starken Fokussierung der AfD auf Grünen-Bashing und einer unzureichenden PR- und Medienarbeit der AfD-Spitze in Sachsen. Er weist auf die Notwendigkeit einer selbstkritischen Aufarbeitung innerhalb der Partei hin, um zukünftige Erfolge zu sichern.

AfD hat Chancen auf bis zu 37 Prozent

Dabei solle die AfD weniger auf andere Parteien schielen, sondern sich auf die Mobilisierung der eigenen Wählerbasis und eine intensivere Wahlkampfarbeit konzentrieren. „Wieso hat die Sachsen-AfD nicht mehr CDU-Wähler und Nichtwähler aktiviert? Wieso ist im zweifellos patriotischsten Bundesland der gesamten BRD ein relativ gedeckeltes Stimmenaufkommen vorliegend? Weshalb wurde der sogenannte Kuchen fürs patriotische Lager nicht größer? Weshalb gab es keinen lebendigeren, zeitgemäßen und intensiven Flächenwahlkampf wie in Thüringen unter Björn Höcke und Stefan Möller?“, fragt er.

Die AfD steht nun vor der Herausforderung, ihre Strategie anzupassen und aus ihren Fehlern zu lernen. Trotz des enttäuschenden Ergebnisses sieht Kaiser großes Potenzial für die Partei in Sachsen. Er betont, dass 35 bis 37 Prozent für die AfD in Zukunft möglich seien, wenn die notwendigen Veränderungen in der Parteistruktur und der Wahlkampfstrategie vorgenommen würden. „In Sachsen sind 35 oder 37 Prozent für die AfD drin – FS hin oder her“, so Kaiser.

Freie Sachsen weisen Vorwürfe zurück

Und was sagen die Freien Sachsen selbst? Michael Brück, Politiker der Freien Sachsen, weist gegenüber FREILICH die Vorwürfe der AfD entschieden zurück. Er kritisiert, dass die AfD im Vorfeld der Wahl keinerlei Gesprächsbereitschaft gezeigt habe und stattdessen mit aggressiven Kampagnen gegen die Freien Sachsen vorgegangen sei. „Hätte es Absprachen gegeben, wäre möglicherweise sogar ein Konkurrenzantritt zu vermeiden gewesen“, präzisiert Brück. Die AfD solle sich fragen, warum sie der CDU keine Wähler abjagen konnte, anstatt die Schuld bei den Freien Sachsen zu suchen.

Die Gründe für das knappe Ergebnis seien laut ihm vielschichtig. Brück verweist darauf, dass der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU im Wahlkampf immer wieder konservative Positionen betont und damit Wähler zwischen AfD und CDU für sich gewinnen konnte. Die AfD habe es versäumt, Kretschmer ausreichend anzugreifen und eine Gegenstimmung aufzubauen. „Statt auf unsere Wähler zu schielen, sollte die AfD sich fragen, warum sie der Kretschmer-Partei keine Wähler abgenommen hat. Denn die CDU hat gerade einmal 0,2 Prozent im Vergleich zur Landtagswahl 2019 verloren“, zählt Brück auf. Er ist sich sicher: Eine „bessere CDU“ funktioniert im konservativen Sachsen nicht.

Kretschmer zu sehr geschont?

Er verweist auf die Chemnitzer Oberbürgermeisterwahl im Jahr 2020, bei der ein AfD-Kandidat sein Ergebnis im zweiten Wahlgang von 12,2 Prozent auf 13,2 Prozent steigern konnte – unter anderem durch die Unterstützung von Pro Chemnitz, einem Vorläufer der FS, deren Vertreter sich zugunsten der AfD zurückgezogen hatte. Der Kandidat von Pro Chemnitz hatte im ersten Wahlgang rund vier Prozent erreicht.

Chemnitzer Oberbürgermeisterwahl 2020

Kandidaten der Parteien, in Prozent

Sicherlich hätte ein Teil der FS-Anhänger die AfD gewählt, wenn die FS nicht angetreten wäre, aber Brück dämpft die Erwartungen: „Diese Rechenspiele vergessen völlig, dass Menschen gerade im patriotischen Milieu sehr an Organisationen und Personen gebunden sind. Bei der aktuellen Landtagswahl kommt noch hinzu, dass es in den letzten 3 Jahren zahlreiche Angriffe der sächsischen AfD, sowohl aus den Reihen des Landesverbandes, als auch in einem Großteil der Landkreise, auf die FS gegeben hat, was eine gewisse Verbitterung ausgelöst hat“.

Die Ergebnisse der Landtagswahlen zeigen, dass die AfD trotz ihrer Erfolge in Sachsen nicht an der CDU vorbeiziehen konnte. Ob und wie die internen Diskussionen und die Auseinandersetzungen mit den Freien Sachsen die zukünftige Strategie der AfD beeinflussen werden, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass die Partei angesichts dieses Ergebnisses vor großen Herausforderungen steht.

Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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