Rede von Jörg Haider anlässlich des Staatsfeiertages am 26. Oktober 1989

Anlässlich des Nationalfeiertages am 26. Oktober 1989 hielt der verstorbene Jörg Haider im Wiener Palais Auersperg eine Rede, in der er die Verantwortung der Bürger für die Erhaltung der Freiheit und der demokratischen Werte in Österreich betonte und die gesellschaftliche Apathie sowie den Verlust des patriotischen Bewusstseins kritisierte. FREILICH veröffentlicht die Rede im Wortlaut.

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Rede von Jörg Haider anlässlich des Staatsfeiertages am 26. Oktober 1989

Jörg Haider bei einer Veranstaltung im Jahr 1994.

© IMAGO / WEREK

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Freunde!

Ich heiße Sie bei unserer heutigen Feier anläßlich des Staatsfeiertages am 26. Oktober 1989 herzlich willkommen. Wir haben ganz bewußt diesen Rahmen für eine Feierstunde gewählt, weil wir deutlich machen wollten, daß für uns das Gedenken an die Republik, das Gedenken an die historischen Ereignisse im Werden dieser Zweiten Republik und seiner Freiheitsgeschichte nicht damit erledigt werden kann, daß man einen Staatsfeiertag beschließt und dann glaubt, in Form von Wandertagen, Fitneßtreffen und Joggingorganisationen der Republik Österreich die nötige Reverenz zu erweisen.

Denn, meine Damen und Herren, dieser Tag bedeutet für uns mehr. Er bedeutet für uns die Erinnerung daran, daß am 26. Oktober 1955 der letzte Besatzungssoldat in Österreich dieses Land verlassen hat. Womit sichtbar für alle Bürger, die diese schwere Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges — gerade auch hier im Wiener Raum — miterleben mußten, ein Signal gesetzt wurde, daß die Freiheit dieser Republik wieder in umfassender Weise hergestellt wurde, eine Freiheit, die uns ab diesem Zeitpunkt selbst anvertraut war, und daß letztlich damit auch die Verantwortung wieder ausschließlich der Bevölkerung und den politischen Verantwortungsträgern in unserem Lande übertragen wurde. Es war dies eine Zeit, in der die Menschen von der innerlichen Stimmung ausgehend mit einer natürlichen Begeisterung an den Aufbau ihres Landes gegangen sind. Und zwar nicht nur an den materiellen Aufbau, sondern auch an den geistigen Aufbau, der dadurch charakterisiert war, daß man einmal diese Freiheit verloren hatte und daher um den Wert eines freien demokratischen Staates Bescheid wußte.

Die Frage, die sich uns nach Jahrzehnten dieses Ereignisses stellt, ist, ob wir tatsächlich noch um diesen Wert der Freiheit und der demokratischen Eigenständigkeit Bescheid wissen. Ist die Begeisterung für die Republik im Laufe einer recht erfolgreichen Entwicklung nicht verloren gegangen? Haben wir tatsächlich unsere Chancen genützt, unseren eigenständigen Weg im Rahmen eines zusammenwachsenden Europas zu suchen? Fast hat man das Gefühl, daß nach all dem, was sich auch in unserem Lande in den letzten Monaten an politischer Auseinandersetzung abgespielt hat, nach all dem, was der Bürger an unerfreulichen Dingen aus der politischen Szene über sich ergehen lassen mußte, die Verständigung über die Trümmer der europäischen Katastrophe hinweg leichter gefallen war als die Verständigung über die notwendigen Zukunftsentscheidungen für Österreich in einer Phase des Wohlstandes. Zwar sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten die Bauruinen gezielt beseitigt worden, die die Bomben hinterlassen haben. Die moralischen Ruinen in dieser Republik sind aber größer geworden.

Meine Damen und Herren, ein Land lebt nicht nur davon, daß es den Wohlstand sichert. Ein Land lebt in erster Linie davon, daß die Bürger mit einer inneren Begeisterung die Entwicklung dieses Landes mittragen, daß sie aber auch wissen, daß sie damit die Verantwortung in diesem Staate tragen, und zwar immer im Bewußtsein der Verantwortung für das Ganze. Und hier hat man nicht das Gefühl, daß der 26. Oktober, der im Zusammenhang mit der Neutralität dieses Landes ein bedeutendes Datum ist, wirklich noch ernst genommen wird. Zwar hat man einerseits im Zusammenhang mit dem Ansuchen Österreichs um den Beitritt in die Europäische Gemeinschaft die Frage der Neutralität sehr stark in den Vordergrund gestellt, andererseits aber spielt man in Österreich aus der Sicht jener Kreise oder von jenen Kreisen herkommend mit der Neutralität, welche eigentlich keinen Grund dazu hätten. Da wird eine Diskussion vom Zaun gebrochen, ob wir überhaupt eine bewaffnete Neutralität brauchen! Ob wir uns nicht überhaupt ein „Bundesheer light“ leisten sollten? Ob wir nicht dieses Bundesheer abschaffen sollten? Damit offenbart sich die linksideologische Krämerseele in ihrer geistigen Verwahrlosung, wie wir sie heute zur Kenntnis nehmen müssen.

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Wenn es wichtiger geworden ist, daß man darüber die Nase rümpft, ob es einem demokratischen Politiker in Österreich zusteht, den Begriff der österreichischen Nation zu interpretieren, wenn es einem aber offenbar gleichgültig ist, daß es von der Verfassung und vor der Verfassung angelobte Abgeordnete gibt, die die Verteidigungsfähigkeit und die Existenz unserer militärischen Landesverteidigung als Ausfluß dieser immerwährenden und dauernden Neutralität in Frage stellen, dann muß man sich fragen, welche Wertvorstellungen und Ziele es in diesem Land in Zukunft zu verfolgen gilt. Diese Einstellung ist nur deshalb möglich, weil es auch eine Medienlandschaft gibt, die jenen Raum bietet, die zwar ständig das Wort Österreich auf den Lippen führen, in ihrem Herzen jedoch ideologische Zielsetzungen verfolgen, die die Integrität dieses Landes nicht gleichermaßen miteinschließen.

Daher ist es notwendig, aus Anlaß des 26. Oktobers und der Feier dieser Republik klarzustellen, daß wir nur dann auch in Zukunft in einem guten Staat leben werden, wenn es gelingt, die Bürger stärker als bisher zu überzeugen, daß diese Demokratie auch eine wehrhafte Demokratie sein muß. Wehrhaft nicht im Sinne militärischer Verteidigung, sondern wehrhaft auch im Geistigen. Meine Damen und Herren! Jene, die diese Freiheit, die sie hier vorfinden, benützen und mißbrauchen, um diese Freiheit in Frage zu stellen, sollen zumindest in der öffentlichen Diskussion gestellt werden und nicht auch noch politische Führungsverantwortung in dieser Republik übernehmen dürfen.

Aber es scheint so zu sein, daß in diesem Land, in dem die geistige Mittelmäßigkeit das Sagen hat, zweifelsohne diese Dinge in den Hintergrund geraten, und daß von einer linken Meinungsmache gelenkt jene politischen Grubenlichter eine Chance haben, die in Wirklichkeit dieser Republik nicht sehr stark verbunden sind. Andernfalls würden sie erkennen, daß wir zwar an einer dynamischen Entwicklung in Europa teilhaben, daß diese Entwicklung aber nicht ohne Gefahren ist. Auch nicht ohne Gefahren für unsere eigene österreichische Heimat.

Meine Damen und Herren, Europa macht derzeit eine Gratwanderung durch, wenn man das alles betrachtet, was sich vor allem jenseits des einstmals so hermetisch funktionierenden Eisernen Vorhanges abspielt. Da gibt es die faszinierende Öffnung der Ungarn in Richtung Österreich. Da gibt es die faszinierende Entwicklung, derzufolge das Machtmonopol der kommunistischen Einheitsparteien zu zerbröckeln beginnt. Da gibt es die faszinierende Entwicklung, daß eigene Staaten, Regionen und Völker innerhalb von Vielvölkerstaaten plötzlich ihre Eigenständigkeit beanspruchen, wie wir das im jugoslawischen Bereich anhand der Entwicklung in Slowenien und Kroatien feststellen können. Der Eiserne Vorhand ist vom Rost angefressen. Das heißt, daß es auch für uns eine außerordentliche Situation gibt, die außerordentliche Anstrengungen aller überzeugten Europäer und Demokraten erforderlich macht, sofern uns die dauerhafte friedliche Entwicklung dieses europäischen Lebensraumes am Herzen liegt.

Ich glaube, daß gerade wir Freiheitlichen dazu aufgerufen sind, diese Entwicklung als Aufforderung hinzunehmen, uns stärker für die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten auch im osteuropäischen Bereich zu engagieren und jene Bürgerbewegungen, die dort diesen Prozeß der inneren Erneuerung eingeleitet haben, auch moralisch und materiell zu stärken. Das ist jenes Europa, von dem wir Freiheitlichen im Rahmen unserer Zielvorstellungen träumen. Wir wollen kein Europa, das einen exklusiven Wirtschaftsklub reicher westeuropäischer Staaten darstellt. Wir wollen ein Gesamteuropa als dauerhafte Friedensgarantie sehen. Einen dauerhaften Frieden in diesem Europa wird es aber nur dann geben, wenn auch die Völker Europas endlich das ihnen bisher vorenthaltene Selbstbestimmungsrecht lückenlos ausüben dürfen.

Daher meine ich, daß gerade die Auseinandersetzung um das Selbstbestimmungsrecht in Europa eine Schlüsselfrage sein wird, wie die neuen Verhältnisse in unserem Land und in Europa aussehen können.

Vor kurzem habe ich gelesen, daß in der Sozialdemokratischen Partei in Deutschland die Frage des Selbstbestimmungsrechtes im Zusammenhang mit der Friedensgarantie Europas vor allem unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung der Deutschen Nation in mehreren Staaten eine große Rolle spielt. In einem Programmentwurf ist zu lesen: „Die Frage der Nation hat sich nicht erledigt, aber sie ist den Erfordernissen des Friedens unterzuordnen!“ Es erhebt sich die Frage, ob das der richtige Weg für ein Europa sein kann, in dem die Völker zu erwachen beginnen? Ich glaube, daß der Friede ohne Selbstbestimmung nicht möglich ist. Er würde sonst nur bedeuten, daß es eine Fortsetzung jener Abwesenheit von Krieg in Europa gibt, die bisher unter dem Druck des Ancien régime nach 1945 entstanden ist und die den Status quo mit und ohne Freiheitsgarantie ermöglicht hat. Es ist ein für uns jetzt faszinierendes Ereignis, daß es so etwas wie eine Belebung der nationalen Identität in den einzelnen Teilen Europas gibt. Auch die Sowjetunion als letzte Kolonialmacht ist in ihrer Machtstellung deutlich in die Schranken gewiesen worden. Dieses neue Europa gilt es jetzt auch unter Mithilfe eines demokratischen und für Europa offenen Österreichs zu bauen. Wir wollen dieses Europa aber nicht in Form eines zentralistischen, bürokratischen Entwurfes, sondern als ein Europa, in dem die Regionen zusammenwachsen, in dem die Regionen die Bausteine von unten zu einer größeren Einheit darstellen. Ich glaube, daß dieses Europa auch unserem geistigen Zuschnitt entspricht.

Man hat immer gesagt, ja diese Freiheitlichen, die verfolgen irgendwelche nationale Ideen. Wir wollen damit keine braunen Schatten dulden, unsere nationale Idee bedeutet ein Bekenntnis zur Chance der Vielfalt der Völker und Volkstümer in diesem neuen, geräumiger gewordenen Europa, anstelle eines europäischen Einheitsbreies, den wir als solchen nicht anstreben können. Das heißt aber auch, daß wir mit dem Bekenntnis zu einem Europa der Vielfalt, zu einem Europa der Volkstümer und Völker, die ihre Selbstbestimmung finden, selbstverständlich auch das Recht für uns in Anspruch nehmen, so wie andere es tun, ohne falschen Zungenschlag die Frage zu stellen, wie es um den Schutz der deutschen Volkstümer in den verschiedenen Teilen Europas steht. Das ist die Vision eines freien Europas, dessen Friedensgarantie das Selbstbestimmungsrecht ist.


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Ich glaube, meine Damen und Herren, daß wir Freiheitlichen unter diesem Gesichtspunkt der europäischen Idee einen neuen und besseren Akzent geben können. Einen Akzent, der sich nicht darin erschöpfen kann, daß wir uns auf eine Diskussion einlassen, ob wir heute in Österreich einen Staats- oder einen Nationalfeiertag begehen, wie von einer Zeitung wenige Tage vor unserem Ereignis schon wieder propagiert wurde. Und daß jemand, der schon einmal vor etwa einem Jahr mit mir in einem Club 2 gesessen ist, mir über die Zeitung nun ausrichten läßt, daß wir nicht überzeugte Patrioten seien, wenn wir nicht auch die Begriffe, die er uns vorschreibt, in unsere Bekenntnisse übernähmen. Ich halte diese Frage wirklich für einen Streit um des Kaisers Bart. Ob es jetzt „Staatsfeiertag“ oder „Nationalfeiertag“ heißt, ist mehr oder weniger eine Frage des begrifflichen Instrumentariums, das dabei zur Anwendung kommt. Entscheidend sollte doch sein, daß wir einander begegnen, um diesem Österreich, für das wir arbeiten und für das wir Verantwortung tragen wollen, unsere Reverenz erweisen — und zwar unabhängig davon, wie wir unsere Feiertage titulieren.

Es ist meine Überzeugung, daß wir ganz andere Sorgen haben, als über diese Begrifflichkeiten zu streiten. Wie zum Beispiel die Frage, welchen Stellenwert der Patriotismus in unserem Land wirklich hat? Warum machen sich denn gerade jene, die sich so große Sorgen um den Nationalfeiertag machen, keine Sorgen über den Verfall der politischen Moral in unserem Land, die die Grundlage für einen überzeugten Patriotismus wäre. Wenn die Moral fehlt, wer soll sich denn mit einem solchen System identifizieren? Das, worunter wir heute leiden, meine Damen und Herren, ist ein völliger Mangel an politischen Vorbildern, die auch die Jugend für dieses Land innerlich überzeugen und mobilisieren. Für viele ist diese Republik in den letzten Monaten zu einem Selbstbedienungsladen für Funktionäre und parasitäre Elemente geworden. Für viele ist diese Republik zum Beutestück der politischen Parteien ohne demokratische Kontrolle und Legitimation geworden. Für viele sind die alten Parteien heute nicht mehr als eine Vermittlungsagentur für politische Karrieren von Bankdirektoren, Langzeitstudenten und Studienabbrechern. Daher glaube ich, daß wir auch diese Frage aus Anlaß eines staatlichen Feiertages zu stellen haben: woran liegt es denn, daß die Menschen in Wirklichkeit lieber zu einem Fitneßlauf gehen, eine Radtour machen oder auf die Berge steigen, um sich nicht mit den echten Fragen dieser Republik auseinandersetzen zu müssen? Es liegt einfach daran, daß Jung und Alt eine wachsende Enttäuschung gegenüber diesen politischen Institutionen und Verantwortungsträgern empfinden. Die ältere Generation beklagt zurecht das Fehlen und den Mangel an Idealismus bei der Besorgung der öffentlichen Aufgaben. Eine ältere Generation, die selbst bewiesen hat, daß sie nach den schweren persönlichen Enttäuschungen diesen Aufbau Österreichs hervorragend bewerkstelligt hat. Eine ältere Generation, die aber zur Kenntnis nehmen muß, daß die neuen Untermieter im Haus Österreich einen rot-schwarzen Pfründestadel gegründet haben. Es ist erforderlich, daß dieses Haus Österreich wieder zu einem sauberen, auch moralisch sauberen Haus gemacht wird. Die Voraussetzungen dafür sind, daß die Privilegienritter delogiert werden und wieder ordentliche Untermieter Platz und Raum finden.

Meine Damen und Herren, was Österreich braucht, ist eine wirksame und überzeugende moralische Erneuerung für mehr Sauberkeit, für mehr Anständigkeit, aber auch für die Durchsetzung der Grundsätze der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land. Heute werden wir zu stark von antielitären Eliten und einem Funktionärsadel regiert, der diesen Prinzipien nicht gerecht werden kann. Betrachtet man die Ereignisse, ermutigen sie einen nicht gerade. Da gibt es einen handfesten Bauskandal um den Bau des Staatsarchivs, wobei die Republik um 400 Millionen Schilling „übers Ohr gehauen“ wird. Dann verhandelt man mit jenem, der die Republik „übers Ohr gehauen“ hat, und jenem Minister, der eine Ermäßigung des 400 Millionen Debakels erreicht, wird auch noch Applaus gespendet. Da gibt es Wohnbauförderungsskandale, wo die Verantwortungsträger vor Gericht zugeben müssen, daß sie nicht im Sinne staatspolitischer Verantwortung diese Mittel eingesetzt haben, sondern unter den Parteien im Verhältnis von vier zu drei gemäß der Stärke aufgeteilt haben. Da gibt es Verantwortungsträger, die über Nacht und ohne strafrechtliche Konsequenzen aus dem öffentlichen Leben abgezogen werden, nachdem sie dabei ertappt wurden, daß sie den Griff in die Gewerkschaftskassen gemacht haben. Da gibt es Zuckerbäcker, die international Aufsehen erregen, weil sie Schiffe versenken und eine „Habererpartie“ anstatt der Bundesregierung in Funktion setzen. Da gibt es Pensionskürzungen für die ältere Generation und gleichzeitig das Festhalten an Eigenjagden für Funktionäre eben dieser Pensionsversicherungsanstalten. Da gibt es einerseits wachsende Armut und Existenzsorgen im bäuerlichen Bereich und andererseits lustige und muntere Funktionäre in der Agrarbürokratie, die dabei ertappt werden, daß sie mit dem Geld der Schwächsten unserer Gesellschaft quer durch die Welt fahren, von Südamerika über Südafrika nach Australien und Neuseeland, um dort Ochsen und Schafe zu begutachten, anstatt die Schweinereien im eigenen Land abzustellen.

Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es Ereignisse gibt, die dem kleinen Mann deutlich machen, daß Unkenntnis angeblich nicht vor Strafe schützt. Jedoch ist es möglich, daß jemand in gesetzwidriger Weise rund 740.000 Schilling an Abfertigung kassiert, die nach einem Gesetz verboten sind, das er selbst mitbeschlossen hat. Das ist nicht nur dumm, das ist auch unmoralisch. Ich halte daher auch an meiner Kritik fest und frage Sie, wie die Jugend zu solchen Politikern noch aufschauen kann, die Gesetze beschließen und dann nicht wissen wollen, was sie beschlossen haben, damit sie überall — auch wo es ihnen nicht zusteht — legitimiert sind, die Hand aufzuhalten? Das sind genau jene Markierungen, die in dieser Republik zur Verwirrung unter den Bürgern führen.

Darüberhinaus gibt es eine Staatsbank, die mit einem Aufwand von Milliarden Schilling aus den Steuermitteln saniert wurde und die ganz locker entscheidet, daß im öffentlichen Interesse ein Parteivorsitzender und Bundeskanzier zum Frühpensionisten mit öffentlicher Hilfe gemacht werden soll. Jeder Eisenbahner würde vor Neid erblassen, wäre diese Lösung auch in seinem Dienstvertrag enthalten.

Alle diese Vorfälle führen dazu, daß Staatsfeiertage und Republikfeiern immer mehr und mehr zu formalen Ereignissen werden, aber nichts zur inneren Auseinandersetzung mit dieser Republik und mit ihrer Verfassung beitragen. Wir müssen erkennen, daß eine tiefgreifende moralische Erneuerung in diesem Land nicht die Forderung einer politischen Partei ist, sondern der wachsende Wille vieler Bürger, die mehr Idealismus, mehr Zukunftsorientierung und mehr Verantwortungsbewußtsein einmahnen. Wir brauchen daher eine Sanierung der Gesinnung in unserem Österreich: die Sanierung einer Gesinnung, die von einem Verantwortungsbewußtsein getragen werden soll. Das bedeutet, daß man zuerst an Österreich und an seine Bürger denkt, bevor man darangeht, seine eigenen persönlichen Interessen durchzusetzen. Die Sanierung einer Gesinnung, die von Menschen repräsentiert wird, die bei politischen Entscheidungen Zivilcourage und Rückgrat beweisen. Heute hat man dieses Gefühl oft nicht. Manche haben dort, wo es Rückgrat zu beweisen gilt, einen Gartenschlauch, um entsprechend biegsam zu sein. Wir brauchen Menschen, die eine Gesinnung repräsentieren. Wir brauchen Politiker, die dem Bürger wieder zuhören können. Hier zeigt sich ein großer Mangel in unserer Zeit. Politiker verkünden von oben, sie haben verlernt zuzuhören. Viele Wähler verstehen ihre Politiker nicht mehr, auch die Politiker verstehen die Wähler nicht mehr, weil ein Dialog der Gehörlosen in der Regel nicht sehr erfolgreich ist.

Das, meine Damen und Herren, ist die Ausgangslage. Eine Ausgangslage, die zu einem verantwortungslosen Umgang mit der übertragenen Verantwortung geführt hat. Wenn wir die Vergehen aufzeigen, wenn wir die Finger auf die wunden Stellen dieses politischen Systems legen, dann werden wir gerne ausgegrenzt. Es wird jedoch bald so weit sein, daß die Ausgrenzer sich selbst ausgegrenzt haben, da die Bürger in einem wachsenden Ausmaß auf der Seite jener stehen, die die politischen Zustände verändern wollen. Ich bin guter Dinge und glaube, daß auch für eine tiefgreifende moralische Erneuerung Österreichs mehr und mehr Verständnis in der Bevölkerung vorhanden sein wird. Das, was wir brauchen, ist unter dem Gesichtspunkt der Erneuerung eine Erneuerung der Machtverhältnisse. Das bedeutet, daß man den Mächtigen, die zu viel Macht und zu wenig Verantwortung in Händen haben, eine wirkliche Entziehungskur verordnet, daß man eine Erneuerung Österreichs propagiert, die sicherstellt, daß das Parteibuch nicht mehr das Glückssymbol für den einzelnen ist, sondern persönliche Leistung und Qualifikation wieder im Vordergrund stehen. Wir brauchen eine politische Erneuerung, die sicherstellt, daß Korruption und Privilegien kompromißlos von allen in diesem Land bekämpft werden. Eine politische Erneuerung, die sicherstellt, daß die Umwelt einen ernsten und glaubwürdigen Schutz erhält. Wir müssen die Chance nützen, auch für unsere Jugend in einer ferneren Zukunft einen Platz zu erhalten, wo sie die Seele baumeln lassen kann, anstatt kurzfristigen Gewinninteressen den Vorrang einzuräumen. Wir wollen aber auch eine politische Erneuerung, in der die soziale Gerechtigkeit durchgesetzt wird. Meine Damen und Herren! Dieses Land hat viele offene soziale Probleme zu bewältigen. Die Überzeugung für einen Staat und für ein Land kann sich nur dann festigen, wenn sich auch die Gerechtigkeit durchsetzt. Sie muß eine breite Basis haben. Wir haben viele Fälle von Armut in unserem Land. Wir haben viele Fälle des sozialen Unrechts auf der einen Seite und der sozialen Überversorgung auf der anderen Seite. Wir haben eine ungelöste Situation bei der Behandlung der Familien. Schöne Bekenntnisse nützen nichts, wenn wir der Institution „Familie“ gleichzeitig keine Chance geben. Ein wirklich humanistisches Ziel der Erneuerung kann ja nur sein, daß unsere Gesellschaft so stark ist, daß sie auch auf die sozial Schwachen Rücksicht nehmen kann. Dann werden wir den Bürgern jene Heimat geben, die sie brauchen, um auch mit innerer Überzeugung und ohne Kompromiß für dieses Land einstehen zu wollen. Jede Heimat braucht Wurzeln! Diese Wurzeln müssen wir den Bürgern wieder zurückgeben. Das sind die Wurzeln des Vertrauens in einen guten Staat und verantwortungsbewußte Repräsentanten und in glaubwürdige politische Mandatare. Das ist eine Chance, die sich auch uns eröffnet. Wir können an dieser Republik einen wesentlichen Dienst leisten, wenn wir die Aufgabe der politischen Erneuerung sehr konsequent erfüllen und uns auch durch Angriffe, durch Abwertungen, durch Zurücksetzungen, die uns immer wieder zuteil werden, nicht beirren lassen. Wir haben in den letzten Jahren für diesen Weg einen beachtlichen Vertrauensvorschuß bekommen, den wir zu beweisen haben. Einen Vertrauensvorschuß, der im Interesse dieses Landes genützt werden soll.

Meine Damen und Herren! Diesem Österreich zu dienen, ist eine wichtige Aufgabe. Dieses Österreich in eine gute Zukunft zu führen, ist eine großartige Aufgabe. Wir wollen keine Pessimisten sein, die alles schwarz sehen. Wir wollen auch keine Ideologen sein, die alles rot malen. Das, was wir sein wollen, sind überzeugte Förderer des österreichischen Wohles. Das, was wir wollen, ist, die Überzeugung von Patrioten zu fördern, daß „rot-weiß-rot“ das Zukunftsthema ist. Es gibt keine wirkliche Alternative zu diesem Österreich, für das wir mit ganzem Herzen und ganzer Kraft die politische Erneuerung vorantreiben werden. Glück auf!

Die Rede ist im Jahr 1989 unter dem Titel „Rede zum 26. Oktober 1989: Staatsfeiertag 1989“ auch in der Ausgabe Nr. 25 der Schriftenreihe des Freiheitlichen Bildungswerkes erschienen.

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