Die vierte Lesung: Demokratie hinter Museumsglas

Die FPÖ ist bei den Nationalratswahlen am vergangenen Sonntag stärkste Kraft geworden. Doch mit einer FPÖ unter Herbert Kickl wollen die anderen Parteien nicht zusammenarbeiten. Robert Willacker sieht darin politisches Kalkül und warnt in seinem Kommentar für FREILICH vor einer Aushebelung des Wählerwillens.

Robert Willacker
Kommentar von
3.10.2024
/
2 Minuten Lesezeit
Die vierte Lesung: Demokratie hinter Museumsglas

Aus den Wahlen am vergangenen Sonntag ging die FPÖ mit über 29 Prozent als Sieger hervor.

© Alois Endl

„Meine Hand ist ausgestreckt“, sagt Herbert Kickl am Wahlabend in Richtung des politischen Mitbewerbers. Die FPÖ hat soeben mit rund 29 Prozent zum ersten Mal Platz 1 bei einer Nationalratswahl erreicht und möchte regieren. Das Problem: keiner der potenziellen Koalitionspartner will die ausgestreckte Hand annehmen.

SPÖ nimmt sich selbst aus dem Spiel

Die SPÖ nimmt sich mit ihrer demnächst 40 Jahre alten „Vranitzky-Doktrin“, die eine Zusammenarbeit mit der FPÖ auf Bundesebene ausschließt, traditionell selbst aus dem Spiel. Und auch die ÖVP hat in den vergangenen Monaten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit verlauten lassen, dass sie mit der „Kickl-FPÖ“ in keine Koalition gehen werde. Die Motive beider Parteien für diese ablehnende Haltung sind freilich höchst unterschiedlich: die SPÖ kann und will es sich nach dem Verlust von weiten Teilen der Arbeiterschaft an die FPÖ nicht mit ihrer noch verbliebenen Wählerschaft verscherzen. Für die ist neben Sozialpopulismus vor allem der Kampf gegen rechts eine wichtige Identifikationssäule.

Die ÖVP brauchte einen Sündenbock

Ganz anders bei der ÖVP: bis zum Bruch der türkis-blauen Koalition durch Sebastian Kurz 2019 regierte man weitgehend harmonisch mit der FPÖ als Juniorpartner und Herbert Kickl als Innenminister. Erst als im Zuge der parlamentarischen Aufklärung der öffentliche Fokus von den Protagonisten des Ibizavideos auf die Machenschaften der Volkspartei überging, brauchte man plötzlich einen Sündenbock, den man schließlich in Person von Herbert Kickl fand.

Das Ammenmärchen vom zerstörten BVT hält sich seitdem medial hartnäckig und auch in der ÖVP selbst beginnt man offenbar die eigene Erzählung zu glauben. Wie diese Geistergeschichte zu den drei aufrechten Koalitionen mit der FPÖ in Salzburg, Niederösterreich und Oberösterreich zusammenpasst, konnte indes noch kein Türkiser so ganz schlüssig darlegen.

Dennoch gilt, dass es grundsätzlich erst einmal jeder Partei unbenommen ist, Koalitionen mit anderen Parteien auszuschließen. Genauso ist es der ÖVP erlaubt, ihre wahre Motivlage unter einer dünnen Schicht Sorge um die Republik notdürftig zu verscharren. Man sollte sich aber über das Bild im Klaren sein, das man damit erzeugt.

Kickls Warnung vor einer „Einheitspartei“

Herbert Kickl hat im Wahlkampf vor einer „Einheitspartei“ gewarnt – vor einem System, das es sich unabhängig von Wahlergebnissen richtet und das den Willen des Wählers dabei geflissentlich ignoriert. Aktuell haben es sich im Wiener Politzirkus einige Leute offenbar zum Ziel gesetzt, auch noch die letzten Zweifler von der Richtigkeit dieser These zu überzeugen.

Es waren am Sonntag noch nicht einmal die Sondierungsteams gebildet, da sprach Wahlverlierer und SPÖ-Chef Andreas Babler bereits davon, dass Gespräche mit der ÖVP vereinbart wären. Die Briefwahl war noch nicht fertig ausgezählt, da meldete sich schon Bundespräsident van der Bellen zu Wort und steckte gleich einmal die für ihn akzeptablen Inhalte eines Regierungsprogramms ab – die bis dato übliche Vergabe des Regierungsbildungsauftrags an den Erstplatzierten wollte er indes nicht zusichern.

Demokratie nicht hinter Brandmauern packen

Wenn wir nun zumindest dem Bundespräsidenten eine hehre Motivlage und echte Sorge um die Republik zugestehen, so muss man jedoch auch hier korrigierend eingreifen. Eine Demokratie lebt nicht, sie wird gelebt. Sie nutzt sich nicht ab, wenn sie genutzt wird, im Gegenteil: wo sie stillsteht, dort stellen sich schnell Standschäden ein. Nur wenn im dynamischen Miteinander des Parlamentarismus um Ideen und Mehrheiten gestritten werden kann, blüht auch Demokratie auf. Wer sie hingegen hinter Brandmauern und Museumsglas packen will, um sie zu schützen, der leitet damit ihr sicheres Ende ein.

„Wir sind keine Erwählten, wir sind Gewählte“, formulierte es der ehemalige deutsche SPD-Kanzler Willy Brandt einst so knapp wie treffend. Es wäre die Aufgabe eines Bundespräsidenten, alle Beteiligten daran zu erinnern.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Robert Willacker

Robert Willacker

Robert Willacker ist ein deutscher Politikberater. Ursprünglich in Brasilien geboren und in Franken aufgewachsen, studierte er nach dem Abitur Politikwissenschaften in Innsbruck.

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