Exklusiv: Bundestagsgutachten hält AfD-Verbot für möglich – und argumentiert besonders absurd
Zahlreiche Politiker des Deutschen Bundestages fordern ein Verbot der AfD. Sie halten die Partei für verfassungsfeindlich. Das geht nun auch aus einem Gutachten hervor, das FREILICH exklusiv vorliegt und fragwürdige Argumente und Vergleiche liefert. Demnach könnten sogar Positionen der CDU als verfassungswidrig gelten.
Seit Wochen diskutiert die politische Landschaft über ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD, seit eine Gruppe um den CDU-Abgeordneten Wanderwitz angekündigt hat, einen Antrag zur Einleitung eines solchen Verfahrens im Bundestag stellen zu wollen. Das Thema interessiert: So sehr, dass man sich sogar zu einem überparteilichen digitalen Geheimtreffen zusammenfand, um mit einem renommierten Juristen über ein mögliches Verbotsverfahren zu diskutieren. FREILICH berichtete über dieses Treffen.
Nun liegt FREILICH ein Rechtsgutachten für den Innenausschuss des Bundestages vor. Mehrere Professoren und Juristen aus Deutschland haben in einem mehr als 30-seitigen Gutachten die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten analysiert – und kommen dabei zu fragwürdigen Vergleichen aus dem Sport und zu Argumenten, die, wenn sie denn wirklich gelten würden, selbst die Union als verfassungsfeindlich erscheinen lassen könnten. Doch der Reihe nach.
Die Einführung der Verfassungsrechtler beginnt erwartungsgemäß. Es wird das Parteiverbot als Instrument einer „wehrhaften Demokratie“ verteidigt, man zieht sogar die „Mütter und Väter des Grundgesetzes“ heran, die eine „wertegebundende Demokratie“ etablieren wollten. Oder in den Worten der Juristen: Es soll eine Verfassung sein, „die es ihren Feinden verwehrt, unter Berufung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten die Verfassungsordnung oder den Bestand des Staates zu gefährden, zu beeinträchtigen oder zu zerstören.“ Für die Gutachter ist die Verfassungsordnung eindeutig freiheitlich und auch ein Gegenentwurf zum Nationalsozialismus. Aber: Dabei argumentieren die Juristen auch gegen das Bundesverfassungsgericht, das 2009 in einem Fall urteilte, das Grundgesetz kenne kein allgemeines „antinationalsozialistisches Grundprinzip“.
Der Verfassungsschutz als Kronzeuge
Auch der Verfassungsschutz wird hier eingeordnet. Er diene „in diesem Zusammenhang als administrative Vorhut für die Selbstschutzmechanismen des Grundgesetzes“, dessen Einschätzungen aber keine „unmittelbare rechtliche Bindung“ besäßen. Der politisch nicht neutrale Verfassungsschutz – immerhin wird der Präsident einer solchen Behörde vom Innenminister ernannt und hat in der Regel wie Haldenwang auch ein Parteibuch, nämlich das der CDU – soll für ein Verbotsverfahren „belastbare Nachweise, die für ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erforderlich sind“, finden. Weiter heißt es: „Das Bundesamt sammelt damit das für die Einschätzung des Gefährdungspotentials einer politischen Partei und das erforderlichenfalls im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens notwendige Material und stellt es den drei allein antragsberechtigten Organen (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung) zur Verfügung (§ 20 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BVerSchG).“
Auch erklärt das Gutachten die freiheitlich demokratische Grundordnung: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem wegweisenden Urteil klargestellt, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die das Schutzgut des Parteiverbots darstellt, auf drei zentrale Grundprinzipien aufbaut. Diese umfassen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip sowie zentrale Elemente des Rechtsstaatsprinzips. Letzteres beinhaltet die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, eine unabhängige gerichtliche Kontrolle und das staatliche Gewaltmonopol. Eben diese Grundordnung muss eine Partei beseitigen oder beinträchtigen wollen, um ein Verbot zu gefährden, führt das Gutachten an.
Die Potentialität bestimmt
Jetzt geht es ans Eingemachte – und hier wird es wirr. Nach den Urteilen zum NPD-Verbotsverfahren muss eine Partei die erforderliche „Potentialität“ aufweisen, um ein Verbot rechtfertigen zu können. Die NPD war den Richtern des Bundesverfassungsgerichts zu unbedeutend und zu klein, um ihr vom Gericht erkanntes Ziel der verfassungswidrigen Ordnung zu erreichen und umzusetzen. So weit, so gut. Das Gutachten macht aus dieser Logik nun aber mehr: Es erkennt im Parteiverbotsverfahren auch eine gewisse „Prävention“ und leitet daraus eine Art Notlage her, ein Verbotsverfahren einsetzen: „Um diese Ambivalenz zu entspannen, sind Potentialität und Eingriffsschwelle ins Verhältnis zu setzen, abzuwägen. Das bedeutet, dass sich mit zunehmender Potentialität (Gefahr) die Hürden für einen Eingriff (Finanzierungsaussschluss, Verbot) reduzieren.“
Das Problem an dieser Argumentation: Da die „Gefahr“ vor allem aufgrund der Erkenntnisse des politisch nicht neutralen Verfassungsschutzes erkannt und eingeordnet werden soll, ist es für das Gericht und den Staat insgesamt schwierig, eine sachgerechte Entscheidung zu treffen. Denn: Der Verfassungsschutz kann die „Potentialität“ sehr bewusst als dramatisch und als groß darstellen – und schon wären die Hürden niedriger.
Besonders absurd: Das Gutachten unterscheidet zwischen konservativ-nationaler und völkisch-nationalistischer Politik, letztere soll sich vor allem durch einen essentialischen Blick auf Volk, Nation und Staat auszeichnen. Anders formuliert: Wer anhand ethnischer oder nationaler Kategorien Politik machen will oder die Existenz eines deutschen Volkes abseits des Staates postuliert, ist verfassungsfeindlich. Bei dieser Argumentation würde es nicht nur die AfD treffen, in die Schublade „Verfassungsfeindlich“ eingeordnet zu werden – sondern wohl auch die Union. Immerhin hat diese vor kurzem gefordert, anhand staatsbürgerlicher und ethnischer Kategorien die Einwanderung zu regulieren – Afghanen und Syrer sollten nicht mehr aufgenommen werden dürfen, forderte CDU-Chef Friedrich Merz.
Der Mensch ist eindimensional
Generell sind sich die Gutachter in einem Punkt sehr einig, nämlich im liberalen Menschheitsbild, das nicht differenziert und alles nur auf den Faktor Mensch reduziert. Hier wird aus einer Rechtsgleichheit die allgemeine Gleichheit des Menschen. In den Worten der Gutachter: „Jegliche Differenzierung nach kulturellen Merkmalen oder eine rassistische Hierarchisierung, die über die Zugehörigkeit zur 'deutschen Gesellschaft' bzw. zum deutschen Volk entscheidet, verbietet sich.“ Bezogen auf die AfD sehen die Juristen hier genügend Anhaltspunkte, um der Partei ein völkisches Politikverständnis zu unterstellen, doch dazu später mehr.
Aber nicht nur ein völkisches Menschenbild, sondern auch die „Delegitimierung demokratischer Prozesse und Akteure“ soll die AfD bereits verfassungsfeindlich machen – als Beispiel wird das Verhalten des Alterspräsidenten der AfD, Jürgen Treutler, genannt. Das Chaos bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags um zwei unterschiedliche Rechtsauffassungen soll laut den Gutachtern genügen, um eine Verfassungsfeindlichkeit zu erkennen (FREILICH berichtete). Die AfD verlor mit ihrer Auffassung vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshof letztendlich und akzeptierte die juristische Niederlage. Für die Juristen im Gutachten gilt das aber als verfassungsfeindlich. „Treutler setzte sich in verfassungswidriger Weise über die Autonomie des Parlaments hinweg und überschritt die ihm zustehende protokollarische Funktion, um parteipolitische Interessen durchzusetzen und die selbst herbeigeführte 'Dysfunktionalität' des Parlamentarismus vorzuführen, mit dem Zweck, die demokratischen Institutionen zu delegitimieren.“ Weiter: „Eine solche strategische Delegitimierung demokratischer Akteure und Prozesse gefährdet die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen und damit eine zentrale Ausprägung des Schutzgehalts der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.“
Ein Alterspräsident als Verfassungsfeind
Jetzt wird es witzig: Da die Gutachter von der Verfassungswidrigkeit ausgehen, zum Beispiel anhand des Verhalten Treutlers, der nur die bestehende Geschäftsordnung einhielt, die sich aber selbst als rechtlich falsch erwies, wie das Verfassungsgerichtshof urteilte, wird zusammen mit der „Potentialität“ eine regelrechte Notfallsituation erkannt. „Auf Landesebene wird der AfD teilweise ein noch größerer Erfolg prognostiziert, hier hat sie in einigen Fällen nachgerade den Status einer Volkspartei eingenommen. Es scheint daher nicht nur möglich, sondern sogar höchstwahrscheinlich, dass die AfD an politischem Einfluss gewinnt und sich befleißigen wird, ihre nationalistisch-völkische Grundhaltung politisch und mit den Mitteln (verfassungswidrigen) einfachen Rechts umzusetzen. Durch die Besetzung von Ämtern in Justiz und Verwaltung kann sie ihre verfassungswidrigen Bestrebungen besonders wirkungsvoll verfolgen und gefährdet insbesondere die vom Parteiverbot besonders geschützten Elemente des Rechtsstaatsprinzips“, heißt es. Hier wird der Zirkelschluss perfekt: Weil die AfD verfassungswidrig sei, müsse man sie jetzt verbieten, um alles zu schützen.
Die Argumentation macht nur Sinn, wenn die AfD wirklich verfassungswidrig ist, und genau das wird von den Gutachtern nahezu voraussetzungslos behauptet, sofern man die vorgebrachten Argumente wie das angeblich verfassungswidrige Verhalten Treutlers oder die gesammelten Informationen der politisch nicht neutralen Verfassungsschutzämter als hanebüchen empfindet und nicht gelten lässt.
Man geht sogar so weit, dass bereits der Ruf nach einem möglichen Finanzierungsausschluss – dies betraf zuletzt die NPD, der aufgrund ihrer gerichtlich diagnostizierten Verfassungswidrigkeit die staatliche Parteienfinanzierung entzogen wurde – als Beweis für die Verfassungswidrigkeit gewertet wird.
Die AfD nutzt Baseballschläger?
Zum Schluss ziehen die Verfassungsrechtler noch einen fragwürdigen Vergleich und bestätigen eigentlich sogar die Kritik der AfD am „Altparteienkartell“, das nur die Konkurrenz verbieten will. Zitat: „Die politische Auseinandersetzung erfordert zumindest, dass die Kontrahenten dieselben Regeln beachten. Das ist, bildhaft gesprochen, nicht der Fall, wenn zum Fußballspiel eine Mannschaft mit Baseballschlägern bewaffnet erscheint: dann kann – um eine leidige Sportmetapher zu bemühen – der Gegner nicht mit spielerischen Mitteln gestellt werden. Die AfD agiert im Widerspruch zu den Maximen der Verfassung und delegitimiert die Demokratie. Das führt jegliche politische Auseinandersetzung ad absurdum, einem solchen Verhalten stehen demokratische Parteien faktisch machtlos gegenüber; die Forderung, die AfD politisch zu stellen, kann nicht eingelöst werden, ist insofern unfair.“ (Anm: Hervorhebung FREILICH).
Das bedeutet: Die AfD kann grundsätzlich nicht politisch gestellt werden, weil sie verfassungswidrig sei – wohlgemerkt sind das alles Aussagen vor einem richterlichen Urteil. Das Gutachten legitimiert hier ein Vorgehen gegen eine demokratische Partei, die von keinem Gericht bisher als verfassungswidrig beurteilt wurde und höchstens von einem politisch nicht neutralen Verfassungsschutz als solches bezeichnet wurde. Aber eben dieses Etikett macht die AfD in den Augen der Gutachter schon reif für ein Verbot.
Es folgen im Gutachten mehrere Seiten mit angeblichen Äußerungen von AfD-Politikern, die das verfassungsfeindliche Gedankengut belegen sollen. Hier wird bereits der Begriff „Großer Austausch“ und die Postulierung eines Bevölkerungsaustausches als verfassungswidrig angesehen, ebenso soll das angebliche „Geheimtreffen“ in Potsdam und die positive Bezugnahme darauf ein Beweis für die Verfassungswidrigkeit sein. Inzwischen gibt es immer mehr Gerichtsurteile, die die angebliche Geschichte eines Geheimtreffens und die damit verbundenen Ausweisungsforderungen Lügen strafen (FREILICH berichtete).
Es werden auch Zitate angeführt, die den Schluss zulassen könnten, dass die Gutachter die Realität für verfassungswidrig halten. So soll der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Kriminalität und Zuwanderung als Beleg für die Verfassungswidrigkeit dienen.
Besonders witzig: Allein die Tatsache, dass man Treutlers Verhalten als rechtlich korrekt bezeichnet und Gerichtsurteile für falsch hält, wird im Gutachten als Beweis für Verfassungswidrigkeit herangezogen, wie im Fall des Hamburger AfD-Politikers Krzysztof Walczak geschehen.
Interessant ist auch, dass bereits auf der ersten Seite des Gutachtens der Unterschied zwischen verfassungsfeindlich und verfassungswidrig verkannt wird. Verfassungswidrig handeln könnten nur Staatsorgane, Staatsdiener und dergleichen, kaum aber der einzelne Bürger. Dieser könne allenfalls verfassungsfeindlich denken und sich äußern und handeln. Auch der aktuelle Streit vor dem OVG Münster zur Frage, ob der Verfassungsschutz die AfD und die Jugendorganisation Junge Alternative als Verdachtsfall einstufen und beobachten darf, wird als gerichtsfest bezeichnet. Allerdings ist hier noch die Revision anhängig.
Insgesamt lässt sich zu dem Gutachten als Fazit nur eines sagen: Es scheint, als hätten hier Juristen eine Art Gefälligkeitsgutachten erstellt beziehungsweise den Wunsch, die AfD zu verbieten, zum Vater des Gutachtens gemacht.